Jede Woche ein neuer Beauty Filter, jede Woche neue Filterkritik. Das glatte Gesicht von Social Media geht über Bilder hinaus.
Es ergibt keinen Sinn, dass ich so wenig auf Social Media poste. Es ist sogar ziemlich unvernünftig.
Ich schreibe, kreiere irgendwo also meinen eigenen Content und ich habe eine Meinung. Und ich bin eh genug auf Social Media unterwegs, dass ich auch mal meinen eigenen Kram bewerben könnte.
Doch ich tue es selten und immer mit Bauchschmerzen. Ja, es ist auch Zeitmangel und die völlig normale Angst, dass jemand, der mich mal in der 4. Klasse uncool fand noch uncooler finden könnte (!!).
Vor allem aber liegt es daran, dass ich wahnsinnig werde, wenn ich versuche ein Bild von mir rauszusuchen, auf dem ich kompetent, wunderschön und gleichzeitig 100 % authentisch wirke (kein Filter, keine Klischee-Monsterra im Hintergrund).
Womit wir beim Thema wären. Das größte Kompliment, das wir in Zeiten von Fake News und Augmented Reality und Beauty Filtern bekommen können, ist: Authentizität. Authentisch sein, das wird in Workshops für Führungskräfte erlernt, das möchte die Body Positivity mit einer Flut an Bildern von Dehnungsstreifen, das erhoffen wir uns von Politiker*innen, die auch mal eine Currywurst essen.
Und ein Mangel an Authentizität wird abgestraft. Fynn Kliemann, der entgegen der eigenen Werte handelt, Girl Bosses, die Frauen ausbeuten und auch eine Madonna, die – wenn mensch ihr Gesicht nur von Instagram kennen würde, gerade ihren 16. Geburtstag gefeiert hat.
Jede Woche taucht ein neuer TikTok-Filter auf, kürzlich „Teenage Look“ und „Bold Glamour“ – Name selbsterklärend. In meiner Bubble bekomme ich davon meistens erst etwas mit, wenn er mir in Form von Infografiken als neuster gefährlicher Trend vorgestellt wird. Oder wenn Menschen, denen ich folge, ihn ausprobieren. Ihr Fazit: Zu künstlich, zu unecht, nicht authentisch.
Doch nicht nur Filter kritisieren wir vehement. Ganze Social-Media-Ästethiken, die trenden, z.B. „that girl“ oder „vanilla girl“ werden analysiert und als idealisierte Zurschaustellung einer Weiblichkeit eingeordnet. Niemand, das ist uns klar, kann diesen Idealen gerecht werden, auch nicht die postenden Girls selbst.
Der Aufruf nach mehr Authentizität und #nofilter ist stets mit einer Sorge – vor allem um junge Frauen – verbunden. Es ist keine Mutmaßung: Wir wissen, dass Beauty Filter weiße Schönheitsideale befördern. Dass soziale Medien und Essstörungen miteinander zusammenhängen. Dass Instagramalgorithmen die Accounts von sogenannten Thinfluencer*innen sogar belohnen.
Authentisch sein ist auch keine Lösung
Als ich Kulturwissenschaften studiert habe, strichen die Dozierenden einige Wörter komplett aus meinem Wortschatz; „natürlich“ zum Beispiel oder „Wirklichkeit“.
Sie warnten uns vor diesen Wörtern. Und auch vor „Authentizität“.
Anstatt zu mutmaßen, was authentisch ist und was nicht, hieß es, wir sollen uns fragen: Wie wird etwas authentisch gemacht? Was halten wir für authentisch?
Also: Was bedeutet unsere Filterkritik eigentlich im Umkehrschluss? Was ist denn dann authentisch? Oder auch: Was hält der Kritik stand?
Die Influencerin Danae Mercer zum Beispiel ist dafür bekannt, Posen auf Fotos zu entlarven, mit denen Menschen lange Beine, eine schlanke Taille und einen riesigen Hintern faken. Sie kreiert dazu Vorher-Nachher-Bilder, die nur Sekunden auseinander liegen: einmal mit langen Beinen und schlanker Taille – einmal mit sichtbarem Hüftfett, Dehnungsstreifen und Rollen am Bauch. Sie nimmt dabei immer die Position der 'echten' Danae ein, die uns aufklärt.
Doch wenn ich mich durch ihren Feed und ihre Stories scrolle, tauchen Fragezeichen auf: Wie real sind die sonnendurchfluteten Räume, Treffen mit Freund*innen in italienischen Cafés und Bilder ihres immer lächelnden Babies?
Alles ist ein Ausschnitt, alles ist nur eine Auswahl. Es gibt bestimmt Content, der sinnvoller oder politischer ist als anderer. Aber es gibt keine Authentizität.
Auch nicht in der neuen Social Media App BeReal, die genau mit diesem Spannungsfeld spielt. Sie fordert ihre Nutzer*innen einmal am Tag, alle zum gleichen Zeitpunkt auf, innerhalb von zwei Minuten ein Foto von der Umgebung zu machen: Mit Front- und Vorderkamera. Keine Filter möglich. Jeder Retake wird als solcher angezeigt.
Und dennoch: Wenn ich drei Tage in Folge von BeReal immer beim Fernsehen erwischt werde – werde ich am vierten Tag so lange mit dem Foto warten, bis ich zumindest das Haus verlassen habe.
Social Medias glattes Gesicht
Der Soziologe Byung-Chul Han schreibt, dass soziale Medien alles visuell glätten: Haut, Haare, Produkte, Poltitik. Hat er Recht? Selbst Social Media Posts über Stuhlgang oder Sperma sind durchorchestriert: clean, pastellfarben, mit niedlicher Illustration und Schriftart im Corporate Design.
Was glatt ist, so Byung-Chul Han, das hat keine Reibung, keine Negativität, lässt sich sehr schnell konsumieren. Alles ist auf ein Like angelegt auf den Plattformen von Tech-Unternehmen, deren erstes Ziel ist: uns so lange wir möglich in ihren Bann zu ziehen.
Und das geht über die produzierten Bilder hinaus: Ich kenne wenige Instagram-Accounts, deren Posts mich schockieren, anwidern, etwas Anderes in mir auslösen als allgemeine Zustimmung, Bewunderung oder Neid über ein perfekt arrangiertes Cord-Sofa.
Als Joko und Klaas ihre Instagram-Accounts an zwei iranische Aktivist*innen abgaben, um ihnen die Reichweite in Deutschland zu schenken, war das ein Bruch: Weil der Content so grafisch-explizit war, dass er uns jedes Mal aus unserem Alltag herausgerissen hat. Blutende Menschen, während wir in der U-Bahn sitzen oder einen Kaffee trinken.
Interessanterweise habe ich schon oft den Rat gelesen, mensch solle seine Social Media so kuratieren, dass sie eine*n nicht triggern. Denn Accounts, die bei uns keine Zustimmung auslösen, können natürlich auch solche sein, die sich z.B. rassistisch oder anti-feministisch zeigen. Niemand muss ihnen folgen, weil uns das so toll aus dem Sog von Social Media herausreißt.
Trotzdem: Das Phänomen, dass unsere Algorithmen uns so gut kennen, dass sie uns nur die Inhalte anzeigen, denen wir zustimmen, kennen wir. Zum Problem wird das, wenn dadurch Perspektiven unsichtbar gemacht werden. Beispielsweise klagen viele Influencer*innen darüber, dass ihre Reichweite drastisch abnimmt, wenn sie politischen Content, etwa Petitionen, teilen.
Zum 8. März habe ich darüber geschrieben, dass ich davon genervt bin, dass immer die zwei bis drei gleichen Themen zum feministischen Kampftag verwertet werden. Ebenso ging es mir letzte Woche, als jeder einzelne Instagram-Kanal die Zahl 131 prominent machte. Denn 131 Jahre dauert es, bis der Gender Pay Gap geschlossen ist. Das ist furchtbar, das ist snappy, das ist eine Botschaft, bei der wir uns alle einig sind: Das ist verdammt noch mal zu lang! Like! Schön glatt. Am 8. März wollen sich wenige Leute mit Themen auseinandersetzten, die wirklich unbequem sind. Sexarbeit oder Leihmutterschaft zum Beispiel.
Das Scheitern der Beauty Filter
Was ich sagen will ist: Alles, ausnahmslos, was wir auf Social Media sehen und lesen, ist gefiltert. Auch wichtige Messages, auch Bilder von Hüftspeck, die wir brauchen.
Weil nichts authentisch ist, ist Authentizität ein Ideal, das niemand erfüllen kann. Die Soziologin Stefanie Duttweiler spricht im Kontext der Zweiten Frauenbewegung von einer Authentizitätsnorm, die Frauen erneut bemisst, beurteilt und hierachisiert.
Immer, wenn etwas too much ist, ein Filter zu viel, zu viel Glam, zu viel Perfektionismus, sollten wir den Kopf auch in die andere Richtung drehen: Welche Grenze wurde da gerade überschritten?
Denn während wir uns fragen, welches Foto bearbeitet ist und welches nicht, bleiben andere Aspekte unbeleuchtet. Warum gelten einige Filter als schädlich und werden medial breit thematisiert – andere nicht? Wenn Filter Idealbilder unserer Selbst herstellen, warum werden sie von einer großen Gruppe an Menschen abgelehnt – warum scheitern sie also? Wie spielen hier race, Geschlecht und Klasse mit rein?
Und: Warum fällt niemanden auf, dass wir uns während der Filterkritik, i m m e r n o c h auf Social Media aufhalten?
Authentizität ist keine Erlösung, keine Ablösung einer anderen schädlichen Schönheitsnorm. Ebensowenig wie Body Positivity tatsächlich verhindern konnte, dass heroin chics wieder in sind. Vielmehr gibt es noch ein weiteres Ideal, das an uns zieht, schon wieder in eine andere Richtung.
danke für deinen text! die ersten drei abschnitte hätten genauso von mir sein können 😂🙈 i feel u! und schön, hier weitere deutsch-schreibende menschen anzutreffen💜 grüße von kulturwissenschaftlerin zur kulturwissenschaftlerin
So viele kluge und wohlformulierte Gedanken, von denen ich viele teile. Freue mich, dich hier gefunden zu haben!