Sophie Passmann und ich, wir haben viel gemeinsam:
Wir leben beide in Köln. (Den winzigen Portionen der Restaurants, in denen Passmann isst nach zu urteilen; in komplett anderen Vierteln.)
Wir schreiben beide. (Eine Bestseller, die andere wütende Blogposts.)
Und wir beide würden uns selbst als Feministinnen bezeichnen. (Auch wenn andere diese Einordnung sicher anzweifeln.)
Wichtiger aber ist: Sophie Passmann und ich, wir sind weiße Frauen. Und deswegen fühlt es sich komisch an, diesen Text zu schreiben. Mit welchem Recht sage ich als weiße Frau einer anderen, sie solle bitte weniger white sein? Diese Frage zu ergründen bleibt ein Prozess, einer dem ich mich stellen möchte.
Das Unbehagen wird auch dadurch nicht weniger, dass Passmann ein Buch veröffentlicht hat, in dem es darum geht: die Kritik von Frauen an anderen Frauen, die eben oft frauenfeindliche Züge hat.
Bin ich Frauenfeindin? Nein. Glaube ich. Vor allem aber habe ich ein Problem mit Passmanns Verwendung des Begriffs “Frauen”.
Patriarchat 101
Das Buch “Pick me Girls” ist eine groß angelegte Erklärung dafür, warum sogenannte Frauen Verhaltensweisen erlernen, die vor allem Männern gefallen. Demnach spielen Frauen vor, nicht gerne shoppen zu gehen, dafür aber Fast Food, Videospiele, derben Humor und Sport zu lieben. Sie formen ihre Körper durch Training, Diäten und Schönheitseingriffe so, dass sie dem Ideal eines Mannes entsprechen. Nehmen wenig Raum ein, lachen viel.
So weit, so klischeehaft verkürzt, so wenig neu die Analyse.
Passmann kritisiert den Begriff der “Pick me Girls”, also die abwertende Bezeichnung für Frauen, die gefallen wollen. Sie plädiert dafür, das Konzept eher als eine Art Überlebensstrategie im Patriarchat zu sehen. Die Vorteile, mit denen zum Beispiel schöne Frauen rechnen dürfen, seien im Patriarchat ungleich verteilt: Ticketkontrollen umgehen, die besseren Jobs kriegen, mehr Gehör finden bei Männern usw.; gehe alles erst, wenn man gutaussieht. “Frauen haben keine Wahl”, schreibt Passmann in der ZEIT.
Doch diese Kritik an der Unterdrückung durch Männer mittels Schönheits- und Coolheitsideale wiederholt nicht nur bekannte Basics. Ich halte sie gerade wegen ihrer Vereinfachung für falsch. Schlimm genug, dass sie Frauen und Männer zu zwei homogenen Gruppen verallgemeinert, in denen alle nicht-queer und nicht-trans zu sein scheinen.
Schlimmer noch, dass die Autorin, die als “Große Figur im deutschen Mainstream-Feminismus” gilt, auf 224 Seiten auch vergisst zu erwähnen, was BIPoC seit Jahrzehnten erklären, erforschen, auf Bühnen und auf der Straße verbreiten: Das Patriarchat ist weiß. Was hilft bei Ticketkontrollen, was hilft bei der Job- und Wohnungssuche? Ist es nur Schönheit?
Weiße Frauen profitieren auch heute davon, dass ihrer ‘Weiblichkeit’ in der bürgerlichen Gesellschaft positive Eigenschaften zugesprochen wurden — rein, unschuldig, engelsgleich. Und dass dieses Weiblichkeitsideal nur in Abgrenzung zu nicht-weißen Frauen funktioniert, die wiederum als unzivilisiert, unmoralisch und sexuell unanziehend oder hypersexuell konstruiert wurden.
Schönheitsideale, so macht nicht zuletzt das Buch “Hässlichkeit” von Moshtari Hilal deutlich, sind rassistisch.
Sexismus und Rassismus lassen sich nicht trennen, und nein, es gibt keine Gewinner*innen — aber es gibt Menschen, die mehr profitieren als andere.
(K)Eine Autobiografie
Passmanns Buch, für das sie das Label Autobiografie zu Beginn entschieden ablehnt, endet damit, dass sie ihre Absicht formuliert: Sie habe die “gemeinsame” weibliche Erfahrung “archivieren” wollen.
Um diese gemeinsame Erfahrung zu archivieren, greift sie dann allerdings hauptsächlich auf die eigene Biografie zurück. Sie schildert Erinnerungen an ekelhaftes Verhalten Erwachsener ihr gegenüber, sexuelle Übergriffe, essgestörtes Verhalten, die Suche nach dem perfekten Schottenrock, toxische Beziehungen. Vieles davon ist relatable. An vielen Stellen dachte ich: Ich wünschte, du hättest einfach eine Autobiografie geschrieben, Sophie. Und kein Memoir, das den Anspruch hat, “ein stellvertretendes Frauenleben” (KiWi Verlag) zu zeigen.
Das Problem: Andere Erfahrungsräume werden ausgelassen. Passmanns ist alleiniges Subjekt und Objekt ihrer Analysen. Und ihr Buch auch deswegen eine so perfide weiße Mittelschichts-Erzählung. Weil sie Selbstverständlichkeiten aufmacht, die keine sind. So schreibt sie zum Beispiel über tiefsitzende Skinny Jeans, die als Must-Have der 00er-Jahre ihren Selbstwert torpedierten. Ja, Skinny Jeans waren die Hölle — aber in meiner Erinnerung auch weil neue Trends immer im Gegensatz zum verfügbaren Geld für Kleidung standen und ich zwischen der Markenkleidung von Mitschüler*innen vor allem eins wollte: nicht auffallen.
Damit alles aber universell und für alle Frauen gültig wirkt, wird geschickt ausgespart, was nicht in die Erzählung passt: So liefert Passmann etwas zusammenhangslos eine Interpretation der umstrittenen Serie GIRLS. Die Autorin fragt: Warum werden Künstlerinnen wie Serienmacherin Lena Dunham erst zelebriert und dann scharf kritisiert? Die Antwort laut Passmann: weil sie Frauen sind. Dass Dunham aber vor allem von Schwarzen Frauen und Frauen of Color dafür kritisiert wurde, eine extrem weiße Sichtweise auf das Leben als Frau in New York darzustellen (unter dem doch sehr großen Serientitel GIRLS), wird nicht erwähnt.
Auch in dem Kapitel über die verschiedenen Shitstorms, die Passmann erlebt hat, geht es allein um ihre Innenansichten und die Erkenntnis, dass wir doch alle Fehler machen dürfen. Benennt die Autorin ihre Fehler? Nein. Ich mache es dafür gerne: Im Juli 2022 kritisierte Passmann beispielsweise in einem Interview Schwarze Frauen, die für Redaktionen ihre rassistischen Erfahrungen veröffentlichen “[o]hne dabei irgendetwas gegen Rassismus getan zu haben”.
Intersektionalität ist keine Fashion Choice
Video-Creator und Autor Ole Liebl sagt in einer Videorezension, es sei erst einmal okay, dass Sophie Passmann ihre Perspektive nicht intersektional erweitern würde. Es sei dann halt für weniger Menschen relevant.
In einem Kommentar unter dem Video ergänzt die Autorin selbst:
“Intersektionaler Feminismus (den ich übrigens für völlig richtig halte, auch wenn der in einem memoir eben - weil das Genre sehr persönlich ist - sicher zu kurz kommt) muss auch im Bezug auf klasse intersektional sein, das ist leider ein Aspekt, der mir im deutschen Diskurs zu Feminismus zu kurz kommt. Ich möchte absichtlich Bücher schreiben, die ohne akademische Vorbildung oder unendlich viele kulturelle, zeitliche und auch finanzielle Ressourcen auskommt.”
Der letzte Satz soll wohl das Fehlen jeglicher Theorie oder Nachweise zugunsten von praktischem Anekdoten-Wissen im Buch erklären.
Sowohl der Rest des Zitats als auch Ole Liebls Fazit veranschaulicht jedoch die Kernproblematik weißer Intersektionalitäts-Feminist*innen:
Damit meine ich Feminist*innen, die sich das Wort “intersektional” wie ein Accessoire zulegen. Mit der gleichen Leidenschaft, die Passmann auf der Suche nach dem perfekten Outfit beschreibt; immer in der Hoffnung, es würde ihre Identität endlich vervollständigen.
Weiße Feminist*innen denken oft, es würde reichen zu sagen, dass andere Frauen es ja mit zusätzlicher Diskriminierung zu tun haben. Die nicht nur leiden weil sie Frauen sind sondern auch Schwarz oder zum Beispiel weil sie behindert werden.
Diese Betonung von “zusätzlicher” oder “mehrfacher” Diskriminierung klingt oft so, als wären beispielsweise nur Schwarze Frauen oder trans*Frauen intersektional positioniert, und weiße cis-Frauen eben “normal”. Das Gegenteil ist der Fall: Auch Weißsein macht anders, anders privilegiert. Es geht mit Vorteilen einher, die andere Menschen ausschließen und diskriminieren. Anders gesagt: Nicht nur Opfer, Betroffene oder Marginalisierte können ihre Leben intersektional reflektieren — auch Täter*innen können das, Kompliz*innen und Privilegierte.
“Zu kurz” kommt in dem Memoire also prakischerweise nur die Intersektion, bei der Passmann in einer machtvollen Position steckt.
Wie würde es sich lesen, das Memoire einer weißen, reichen Frau, wie Passmann eine ist, die diese Intersektionalität ehrlich anerkennt?
Auch als nicht reiche Frau, ich hätte Ideen:
Sie würde vielleicht von Klassenkamerad*innen handeln, die mit jeder Stufe weniger wurden, bis bei den Abitur-Prüfungen fast nur noch weiße Gesichter neben mir saßen.
Oder sie würde von der ersten sexuellen Belästigung in der Grundschule berichten, als Tim** mich gegen die Wand des Schulgebäudes drückte und den umherstehenden Mädchen erklärte: “Ich stehe eher so auf deutsche Mädels.”
Sie würde davon handeln, dass ich 2006 und dann 2010 die WM feierte, unbekümmert. Und erst viel zu spät verstand, dass, während ich mir die Deutschlandfahne auf die Wange malte, der NSU Leute umbrachte.
Sophie Passmann und ich, wir haben viel gemeinsam. Ich glaube, wir könnten interessantere Geschichten erzählen. Solche, die vermutlich keine Buchverträge bekommen.
Eigentlich ging es hier natürlich nie um Passmann selbst. Weder sie noch ich können uns Whiteness abkratzen wie Kaugummi von der Schuhsole. Sie klebt nicht nur an einer Person, sie hat System. In diesem Fall eine Buchbranche, eine Leser*innenschaft, eine Perpektive, einen Anspruch, für alle sprechen zu wollen und unheimlich viel Raum einzunehmen. Das eben, was so oft an den sogenannten “Männern” kritisiert wird.
Das letzte Wort hat Ruby Hamad, Autorin von White Tears/Brown Scars: How White Feminism Betrays Women of Color
“This is how whiteness reasserts itself: through a white feminist movement that aligns itself with diversity and inclusion to get white women through the door but then slams it shut in brown and black women’s faces.”
― Ruby Hamad
Danke fürs Lesen! ✨ Ich bin Vivi, ich schreibe über alles, was glänzt.
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*Die Überschrift dieses Texts referiert auf einen Vortrag den ich vor einigen Jahren an der Ruhr-Universität Bochum gehört habe, “The Unbearable Whiteness of Kaling” von Julia Coursey.
**Name geändert
Einfach nur 100% Zustimmung! Du hast so recht und es auch noch so gut gesagt!