Kindheit als Daily Soap
Als Kind spielte ich nicht Prinzessin, selten Ronja Räubertochter oder Pippi Langstrumpf. Als Kind spielte ich oft Dreißigjährige mit komplexem Sozialleben in Berlin Mitte.
„Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ war unser Spiel, das im Hof, umschlossen von Wohnhäusern, unsere Nachmittage füllte.
Wiesen mit Bänken wurden zu Wohnzimmern mit Altbauflair. Der Sandkasten die Bar, in der sich immer alle trafen. Ich war Cora und stritt mich mit Niko darüber, wer die kleine Antonia von der Kita abholt oder ging shoppen mit Verena.
Wir waren Stadtkinder, die sich auf den wenigen Grünflächen in noch größere Städte hineinfantasierten. In Affären und plötzlich auftretende psychische Krankheiten, lang ersehnte Wiedersehen mit der verloren geglaubten Schwester.
GZSZ, das war der Grund, warum mir auch heute noch der Ruf als Schreikind anhaftet. Denn ich durfte die Sendung nie zu Ende schauen, sondern nur bis zur ersten Werbepause. Und während die anderen wach blieben, musste ich die Treppe hoch gezerrt werden, bis die Nachbarn damit drohten, das Jugendamt zu rufen.
Die Verheißung des Erwachsenenlebens ließ uns genauso träumen wie Märchen es vermochten.
Cocktails anstatt Zaubertränke.
Der Bad-Boy-Schwarm anstatt Prinz aus gutem Elternhaus.
Die WG mit Freund*innen anstatt Schloss.
Waren wir die spießigsten Kinder der Welt? Die realistischsten? Pragmatischsten?
Dachten wir, dass keine andere Magie möglich wäre, als perfide Intrigen von hinterhältigen Anwälten und die Erkenntnis, dass der eigene Freund in Wirklichkeit sein böser Zwilling ist?
Oder waren einfach die Erwachsenen unsere Götter, Hexen und Riesen, mit Regeln, die wir nicht verstehen konnten, mit Macht; die Welt in Schlaf zu verwandeln und uns mit Pech zu überschütten, wenn wir nicht gehorchten.
Erwachsensein, das ist ein Traum für die, die es nicht sind. Sich Freiheit und Entscheidungen vorzustellen, während der Himmel durch die umliegenden Häuser quadratisch begrenzt ist. Und alles hinter den Toren potenzielle Gefahr und Unbekanntes. Schnelle Autos und Fremde, wegen denen meine Mutter mir zeigte, gegen welche Körperteile ich treten sollte.
Stadt-Kindheit. Statt Kindheit.
Wenn Erwachsensein Draußen-sein bedeutet.
Zwanzig Jahre später und GZSZ läuft, als meine Freundin versucht, Musik über den Fernseher anzumachen.
Gibt's das immer noch, GZSZ?, fragen wir uns.
John und Philipp besprechen etwas Wichtiges.
Die Ironie des Erwachsenseins ist, dass ich mich jetzt wieder in den Hof wünsche, in die Grüne, begrenzt von Häusern, in denen meine Freund*innen wohnen. Und irgendwann werden wir gerufen: Abendessen ist fertig. Und wir müssen gehen. Dürfen.