„Wie war der Urlaub?“, fragt er.
Von Drachen würde ich ihm erzählen, die über der Stadt flogen, als wir in Kolumbien ankamen. Die von Kinderhänden über den Himmel gelotst wurden.
Wenn ich die Zeit hätte.
Aber er weiß das, ich auch. Dass wir nur einen kurzen Moment haben.
“Schön”, antworte ich.
Ein Jahr ist nur ein Augenzwinkern, ein Monat nur ein Schulterzucken.
Während ich diese Worte schreibe, bin ich mir bewusst, dass ich gerade Zeit abbuche von deinem tickenden Konto.
Dieser Text wird dich nur drei Minuten deiner Zeit kosten. Das ist mein Ziel, das habe ich mir vorgenommen und vielleicht ist es mein Geschenk.
Ich stelle mir vor, dass du, wie ich, manchmal schon vor zu langen Insta-Captions zurückschreckst.
Drei Minuten sind lang. Drei Minuten sind ein Elevator-Pitch. Sind optimal zum Zähneputzen. Sind die Länge von Songs, die es in Spotify-Playlists schaffen wollen.
Drei Minuten sind lang, wenn sie geschwiegen werden zwischen Menschen, die mal befreundet waren.
Drei Minuten sind die Welt, denn nichts — nichts ist so begehrt wie deine Aufmerksamkeit.
Wie ist das so, zu schreiben in Zeiten der Lesezeit?
Zu Schreiben, während ein Programm misst, wie viele Wörter ich in genau diesem Moment fabriziere und wie leicht sie zu lesen sind.
Wie viele Schlagwörter die Absätze enthalten und Zwischenüberschriften den Text auflockern.
Wusstest du, dass
Listen
deinen
Text
besser
verdaulich
machen?
Es ist sehr leicht, zu viel zu sein, wenn man unter diesem Druck schreibt.
Zu langatmig, zu verschachtelt, zu kompliziert. Ein Druck, den die meisten FLINTA* gut kennen:
Irgendwo misst immer wer, ob das Limit der Verständlichkeit schon erreicht ist.
Wie wirst du gelesen? (Oder wirst du nichtmals angeklickt?)
Wir müssen effektiv und effizient sein. Wir müssen den Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität googeln, während wir in den Bus steigen.
Langsam sein ist Revolution. Anstatt mich zu beschweren, wenn jemand mich warten lässt, werde ich ab sofort: gratulieren.
Hast du auf die Uhr geschaut, wie lange haben wir noch?
Es ist wahr, was sie sagen, dass das Leben jedes Jahr schneller —
Dieser Text ist fast am Ende. Es ist nicht die Zeit, die mich gedrängt hat, merke ich. Es ist die Angst: Dass keine*r von uns mehr lesen wird. Dass alles kompakt und glatt sein muss und eindeutig.
Ich erinnere mich an das Gesicht meines Neffen am Tag nach seiner Geburt.
Und ich sehe es heute und kann ablesen, wie viel Zeit vergangen ist. Eine lebendige Uhr.
Ich würde dir vieles sagen, wenn wir die Zeit hätten. Würde ich. Würde ich. Würde ich —
Danke fürs Lesen! ✨ Ich bin Vivi, ich schreibe über alles, was glänzt.
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Dieser Text entstand im Reahmen des einwortKollektivs. Wir sind sechs Autor*innen, die sich alle zwei Monate von einem gemeinschaftlich bestimmten Wort inspirieren lassen. Lest auch die Texte über GESCHWINDIGKEIT von:
Danke für diesen Text! Ich mag sehr, wie der Text sich selbst eigentlich versperrt, obwohl er kurz und „lesbar“ ist.
Habe, bevor ich im Internet veröffentlicht habe, mir geschworen, dass ich mich von dieser Logik nicht einverleiben lasse. Und merke aber, wie schwierig es ist, sich dem zu widersetzen; ich hasse das Analytics Board von Substack, das sich einer Waxhstumslogik verpflichtet, und wie ich es jedes Mal angucken muss, wenn ich einen neuen Post mache. Ich hasse, dass ich auf diesem Board sehe, wie viel erfolgreicher leicht verdauliche Texte im Sinne dieser Analytics sind. Dabei - und das muss ich mir selbst auch immer wieder sagen - ist das ja nur eine sehr begrenzte Art von Erfolg. Vielleicht berühren meine unverdaulichen, sperrigen Texte irgendwie mehr und irgendwie tiefer; vielleicht; und das ist eigentlich alles, was ich als Schreibendër will, vielleicht dringen sie so weit zu jemandem durch, dass die Person danach einë anderër ist. So wie es wirklich großartige Texte für mich getan haben.
Lesezeit dieses Kommentars: Länger als der Text (lol)